Ein Gefreiter namens Adolf

Foto vom kleinen Nikolaitorbahnhof

Der Nikolaitorbahnhof war ein bekannter Punkt auf dem werktäglichen Weg zur Schule und Schauplatz einer flüchtigen Begegnung mit dem 'Führer'.

Am Nikolaitorbahnhof begegnete ich eines Tages dem Führer. Als ich auf dem Schulweg war, fand ich meine Abkürzung durch den Bahnhof versperrt und musste den Umweg durch die Unterführung an der Striegauer Straße nehmen. Auf der anderen Seite wieder vor dem Bahnhof angekommen, fand ich meinen Schulweg abermals versperrt. Als ich mich unter einer Absperrung hindurchmogeln wollte, hielt mich ein Sipo, wie seinerzeit die Schupos bezeichnet wurden, auf: „Du musst schon warten, bis der Führer vorbei ist” teilte er mir streng mit. 'Der Führer, was für ein Führer' dachte ich, 'der Führer sitzt doch in Berlin!' Diesmal war er aber in Breslau und seine Sicherheitsleute hatten sich aus Angst vor Anschlägen auf die Nazi-Prominenz ausgerechnet den Nikolaitorbahnhof für seine Ankunft ausgesucht.

Dann kam auch schon eine Personengruppe aus dem Bahnhof. Ich sah alle möglichen Uniformen, jede Menge Lametta und Orden, ein paar finstere Gestalten mit Schlapphut und Ledermantel und dazwischen eine Person in einer unscheinbaren Uniform mit dem berühmten Schnauzer. Beinahe hätte ich ihn in der Menge nicht erkannt. Sehr interessiert hat mich Adolf Hitler allerdings nicht. Die gepanzerten Staatskarossen mit den langen Motorhauben, welche am Straßenrand bereitstanden, fand ich viel interessanter. Schnell war die Gruppe an den Plakaten mit den 'Kohlenklau-' und 'Pst, Feind hört mit-' Motiven vorbeigeeilt, in die Autos gestiegen und davon gefahren. Die wenigen Anwesenden konnten ihre zum 'Hitler-Gruß' empor geworfenen Arme wieder herunternehmen. Die Absperrung wurde abgebaut und ich konnte endlich meinen Schulweg fortsetzen. Natürlich kam ich zu spät zum Unterricht. Auf die Frage meines Lehrers, wo ich jetzt herkäme, antwortete ich mit der besten Ausrede der Welt: „Ich musste erst den Führer vorbeilassen”. Das darauf folgende schallende Gelächter habe ich bis heute nicht vergessen. Mit der Wahrheit kommt man oft nicht weit.