Breslau oder Glatz?

Am Ostersonntag stehe ich dann wieder vor der Qual der Wahl. Breslau oder Glatz, ich muss mich entscheiden. Am Freitag war ich sozusagen mit dem Taxi durch meine Kinderstube gefegt, hatte keine Zeit gefunden, mich etwas intensiver mit den alten Stätten meiner Kindheit zu befassen und sie mehr auf mich einwirken zu lassen. Ich würde das gerne nachholen. Andererseits möchte ich auch das schöne Glatzer Bergland kennen lernen. Nach reiflicher Überlegung entscheide ich mich für die Fahrt nach Glatz.

Foto der Figurenbrücke von Glatz

In Glatz. Hier stand 1997 in den unteren Stadtteilen das Wasser bis in die zweiten Etagen. Die Brücke über die Neisse ist mit Figuren wie die Karlsbrücke in Prag verziert. Die 'Figur' im Vordergrund ist allerdings meine Frau.

Bruno, unser treuer Reisebegleiter, lockert uns wieder mit einem Morgenwitz auf. Er verfügt über einen unerschöpflichen Vorrat davon und lässt uns oft an diesem Schatz teilhaben. Im Übrigen ist er, wie alle wirklich humorvollen Menschen, ein sehr tiefgründiger Denker, der immer versucht, hinter die Dinge zu schauen. Er liefert uns während unseres Zusammenseins eine Fülle von sachlich fundierten Informationen über unser Schlesien.

Wir erreichen Glatz und überqueren die Glatzer Neiße. Dann sehen wir uns die Stadt an. Auch hier standen während der Flutkatastrophe mehrere Stadtteile metertief unter Wasser. Die Flutmarken kann man auch heute noch an den Gebäuden erkennen. Auch hier existieren viele alte Gebäude, die noch aus der deutschen Ära stammen. Wir gehen zum Rathaus und überqueren die Brücke über die Neiße, die mit mannshohen steinernen Figuren geschmückt ist, wie die Moldaubrücke in der goldenen Stadt Prag.

Danach umrunden wir das wunderschöne Rathaus. Immer wieder staune ich über den guten Zustand der Häuser. Polen hat nicht den Fehler der DDR begangen, die Bausubstanz verkommen zu lassen. Natürlich haben wir auch hier Häuser in schlechtem Zustand gesehen, das war aber die Ausnahme. Dann geht die Fahrt weiter nach Bad Kudowa. Obwohl ich den Ort nie betreten habe, ist mir der Kurort doch ein Begriff.

In vielen Erzählungen schwärmte meine Mutter von diesem Ort. Hier wurde die Arbeitertochter aus einfachsten Verhältnissen zum ersten Mal mit der großen Welt konfrontiert. Zusammen mit meinem Vater erkundete sie in einem Auto der Marke Brennabor das Riesengebirge auf beiden Seiten der damaligen deutsch-tschechischen Grenze und lernte viele illustre Personen kennen. Darunter befand sich auch ein Freiherr von Richthofen mit Ehefrau (allerdings nicht der rote Baron), mit denen sie gemeinsam viele Exkursionen unternahmen. Meine Mutter hat ein Leben lang von diesen Erlebnissen gezehrt.

Im Kurpark von Bad Reinerts machen wir eine Verschnaufpause und schauen uns das dort gelegene Chopin-Haus an, allerdings nur von außen, da es leider verschlossen war.

Weiter geht es zum Heuscheuer, einem markanten und bizarren Berggipfel, der auch heute noch ein beliebtes Ausflugsziel ist. Hier gibt es auf einem Parkplatz vom Busfahrer Kaffee und Bockwurst auf die Hand, da am ersten Ostertag alle Läden und Restaurants geschlossen sind.