Seelenverwandtschaft

Historisches Foto von Frieda, der Mutter des Autors

Ein Jugendbildnis meiner Mutter. Sie war bereits von ihrem ersten Mann Richard Münch geschieden, als sie meinen Vater kennenlernte.

Von Wandelheim aus begann auch meine Flucht. Im Osten war schon bei bestimmten Wetterlagen der Kanonendonner der immer näher rückenden Front zu hören. Die Propagandamaschinerie der Nazis berichtete dauernd über alle Medien von unmenschlichen Taten des russischen Feindes und trug damit wahrscheinlich auch entscheidend zu dem einsetzenden Massenexodus bei. Die verängstigten Dorfbewohner hatten schon den Wagentreck zusammengestellt und mit dem Nötigsten beladen, um vor den heranrückenden Russen in Richtung Westen zu fliehen. Die Bauersleute einigten sich darauf, mich mitzunehmen, falls meine Mutter mich nicht mehr abholt. Ich bekam fürchterliche Angst und war verzweifelt. Glücklicherweise traf meine Mutter buchstäblich in letzter Minute ein und holte mich ab.

In diesem Zusammenhang erinnere ich mich an einen eigenartigen Vorfall. Ich war von den Gepperts beauftragt worden, Verwandte von Ihnen zu benachrichtigen, dass der Treck abfährt. Dazu musste ich ein paar Kilometer entlang eines Waldes zur so genannten Bleiche laufen, wo ein paar einzelne Höfe lagen. Auf dem Rückweg wusste ich plötzlich, meine Mutter kommt. Ich lief quer durch den Wald, hinter dem in einiger Entfernung die Landstraße nach Herrnstadt verlief. Kaum ließ ich die Bäume hinter mir, sah ich auf der Landstraße eine winzige Gestalt laufen. 'Muttel, Muttel' rief ich und stürmte atemlos auf die Person zu. Es war tatsächlich meine Mutter, die mich abholen wollte. Mir ist bis heute unerklärlich, woher ich wusste, dass sich hinter dem Wald auf der Landstraße meine Mutter befand. Glücklich über unser Wiedertreffen liefen wir Seite an Seite zurück zur Bauersfamilie, packten meine Sachen und machten uns auf den Weg zum Bahnhof Herrnstadt, wo wir in den Zug nach Breslau stiegen, der uns wieder nach Hause brachte.