Finsteres Osteuropa?

Historisches Foto von Onkel Albert beim Hühnerfüttern

Onkel Albert auf dem Hof an der Bolkenhainer Straße.

Mein Bild von Osteuropa wurde geprägt durch jahrzehntelange Berichterstattung über die Vorgänge hinter dem 'eisernen Vorhang', die in meinem Unterbewusstsein ein eher düsteres und abschreckendes Bild zeichneten. Nach dem Zusammenbruch des Kommunismus wurden die Nachrichten keinesfalls besser. Berichte in den Medien über etliche geraubte Posttresore durch rumänische Banden, Meldungen über ständige Diebstähle deutscher Autos, die in Osteuropa verschwinden, verstärkten den negativen Eindruck bei mir. Immer noch erleben wir in der Bremer Innenstadt Überfälle, wo Gangster aus dem Baltikum mit gestohlenen Autos in Juweliergeschäfte rasen und sie ausrauben. Auf dem Flohmarkt auf der Bremer Bürgerweide stehen am Wochenende Fahrzeuge mit osteuropäischen Nummernschildern, denen teilweise fremdartige und finstere Gestalten entsteigen, so dass ich manchmal dachte, 'was kommt da bloß auf uns zu'. Wie groß war mein Erstaunen, als ich auf meiner Reise Polen kennen lernte. Viele von Ihnen hätten mir vom Aussehen her auch in Bremen begegnen können, ohne dass ich sie für Ausländer gehalten hätte. Ich lernte in Polen ein kulturell hoch stehendes Volk kennen. Menschen begegneten mir, die durch ihr gutes Benehmen und gepflegtes Aussehen auffielen. Ich schäme mich meiner Vorurteile.

Meine einzigen frühen Erfahrungen mit einem polnischen Menschen erstrecken sich auf Stanislaw, der beim Bauern Geppert als Zwangsarbeiter eingesetzt war. Stanislaw war ein sauberer und fleißiger Mann, der von der Bauernfamilie als Mensch sehr geschätzt wurde, gleichwohl zog er sich in seiner Freizeit regelmäßig auf seine Kammer zurück. Im Gegensatz dazu arbeitete dort eine deutsche Magd, die sehr ordinär, faul und schmutzig war. Die Mutter des Bauern brachte regelmäßig ihre Empörung darüber zum Ausdruck, dass die deutsche Magd so faul und schmutzig war und der polnische Knecht so adrett und fleißig, wo es doch eigentlich umgekehrt sein müsste. Das passte zur Philosophie des dritten Reiches und hat sich leider auch bei mir irgendwo eingeprägt.

Nun hatte ich in Polen Gelegenheit, meine Vorteile zu revidieren. Allerdings macht sich auch hier immer mehr und nicht unbedingt positiver westlicher Einfluss breit. Das fängt mit Jeans an und endet mit vielen westlichen Prestigesymbolen.

Die Polen waren in der Geschichte meistens die Verlierer zwischen den Mächten und auch im 2. Weltkrieg wurden sie nicht nur Opfer des 'Dritten Reiches', sondern nach Kriegsende wurden sie auch von den Russen nicht wie Sieger behandelt, sondern aus ihren angestammten Gebieten im Osten vertrieben und auf ehemaligem deutschen Gebiet wieder angesiedelt. Wie ich in Gesprächen mit unserem Reiseführer und dem Taxifahrer hörte, haben sie fünfzig Jahre lang trotz der späteren Ostverträge immer Angst gehabt, sie müssten ihre neue Heimat wieder verlassen. Das wurde erst besser, als die Kommunisten ihre absolute Macht verloren. Anscheinend hatte da die Propaganda Ängste vor den 'bösen Deutschen' geschürt. Eigenartigerweise waren die Landstraßen in ganz Polen in einem hervorragenden Zustand, während die alte Reichsstraße nach Westen völlig verkommen war, als befürchtete man, die Deutschen könnten zurückkommen und man wollte Ihnen den Weg nicht zu leicht machen.

Es war in den Gesprächen nicht zu übersehen, wie sehr die Polen trotz Sehnsucht nach Ihrer alten Heimat an ihrem neuen Zuhause hängen und wie stolz sie auf ihre jetzige Heimat und auf die zum Teil von den Deutschen übernommenen Errungenschaften sind. Es wäre ein völkerrechtliches Unrecht, sie hier wieder zu vertreiben. Auf der anderen Seite steht der Wunsch vieler vertriebener Deutscher, sich wieder in ihrer alten Heimat anzusiedeln. In einer grenzenlosen Europäischen Union ist das natürlich möglich. Schon heute können Deutsche in Polen wieder Grundstücke erwerben. Polen hat bei etwa gleicher Fläche nur halb so viele Einwohner wie Deutschland und könnte noch Bevölkerung aufnehmen. Natürlich wären da vorhandene polnische Befindlichkeiten zu berücksichtigen.

Zum EU-Beitritt konnte ich bei meinen polnischen Gesprächspartnern eine grundsätzliche Zustimmung feststellen, allerdings sind auch Ängste vorhanden, zu viele Nachteile zu erleiden und nicht entsprechend stark in der EU vertreten zu sein. Es gibt eine sehr deutliche Differenz zwischen dem wirtschaftlichen Zustand zwischen den alten und neuen EU-Staaten. Etwas Ähnliches haben wir auch bei der Eingliederung der DDR erlebt. Hoffen wir, dass die EU aus den Fehlern lernt, die im Zusammenhang mit der DDR-Eingliederung begangen wurden, und nicht wieder viele Milliarden Euro irgendwo unbemerkt versickern, umgeleitet oder abgeschöpft werden, ohne ihren eigentlichen Zweck zu erfüllen.

Auf dem Heimweg, nach Passieren der Grenze blieb mir viel Zeit zum Nachdenken. Im Nachhinein habe ich mich oft gefragt: 'Wie passte meine Familie in das Nazisystem?'