Meine Familie im Dritten Reich

Historische Großfamilienaufnahme

Meine Großeltern um 1930 mit einem Teil der Kinder und Schwiegertöchter. Untere Reihe links sitzen meine Mutter, rechts neben ihr meine Oma Marie und daneben mein Großvater Albert.

Die Eltern meiner Mutter sind vom Land auf der Arbeitssuche nach Breslau gekommen. Sie gehörten hier zur Arbeiterschicht. Auch die Söhne, bis auf den zweitältesten (Paul), der als einziger Angestellter war, gehörten dem Arbeitermilieu an. Die Familie war sozialdemokratisch orientiert. Mit den Nazis hatten sie nicht viel im Sinn. Innerhalb der Familie, also ohne Zeugen von außen, machten sie des Öfteren kritische oder spöttische Bemerkungen. Auch rissen sie ständig Witze über die Nazigrößen. So unterstellten sie Göbbels, dass er keinen Klumpfuß hätte, sondern dort eine Batterie für sein großes Mundwerk verstecken würde. Auch der 'dicke' Hermann Göring war ständig Gegenstand ihres Spottes.

Andererseits bestand, anscheinend noch aus Kaisers Zeiten, ein ausgeprägtes Obrigkeitsdenken. Dies war auch bei meinen teils sehr spottlustigen Onkeln zu bemerken. Es war eine Familie, in der kriegerisches Denken nicht zu Hause war. Trotzdem wurde das Soldatentum in Ehren gehalten. Mein ältester Onkel Georg, nach dem ich benannt bin, fiel im ersten Weltkrieg, mein Onkel Karl verlor im 2. Weltkrieg den rechten Arm. Mein Onkel Willi starb kurz nach Kriegsende an den Folgen des Wehrmachtseinsatzes.

Sie gingen nie zu irgendwelchen der zahlreich stattfindenden Veranstaltungen der Nazis, aber zum Tag der Wehrmacht ging die Familie regelmäßig und auch ich wurde einmal mitgenommen. Ich sollte über einen Schützengraben springen und die Attrappe einer Stielhandgranate werfen. Nach meinem schrecklichen Gezeter gab der Soldat entnervt auf. Allerdings stand in einer Grube ein Autowrack und ein anderer Soldat erschien in Abständen mit einem Flammenwerfer und ließ das Wrack in einem Feuermeer verschwinden. Das fand ich toll, ich durfte das Gerät aber nicht bedienen, wogegen ich lautstark protestierte.

Eines Tages äußerte ich die Meinung, zum Jungvolk, dem Vorläufer der Hitlerjugend, gehen zu müssen. Schöne Uniformen, Zeltlager, Kameradschaft, Anerkennung in der Gruppe schwebten mir vor. Da bin ich bei meiner Familie aber abgeblitzt und musste ein kräftiges Donnerwetter über mich ergehen lassen.

Meine jährlichen weihnachtlichen Gabentische in den letzten Jahren beherrschte das Kriegsspielzeug. Ich erinnere mich an einen riesigen Bunker, der mit knatternden Maschinengewehren gespickt war, an Panzer, die beim Schieben auf dem Fussboden aus dem Geschütz von einem Feuerstein Funken in die Luft schossen. Meine Onkel, von denen diese 'Gaben' in der Regel kamen, zeigten sich begeistert. Sie waren als Soldaten an der Front und ihre Denkweise anscheinend davon beeinflusst. Die weiblichen Familienmitglieder, vor allem meine Mutter, waren über diese Art Geschenke wenig begeistert. Sie sorgten für eine Art Ausgleich. So entdeckte ich einmal unter dem martialischen Gabenberg ein Kaleidoskop, in dem in einer Papphülse bunte Scherben die schönsten Figuren bildeten. Davon konnte ich mich tagelang nicht trennen und ließ das Waffenpotential links liegen.

Wie weit meine Familie über die Nazigräuel Bescheid wusste, ist mir nicht bekannt. Natürlich war ihnen die Gestapo ein Begriff. Sie bemerkten auch, dass Leute aus ihrem Umfeld verhaftet wurden. Das betraf nicht nur jüdische Mitbürger, sondern konnte alle treffen, denen das System mit Misstrauen begegnete oder die denunziert wurden. Die vielen Passanten mit dem Judenstern an der Kleidung waren nicht zu übersehen. Es blieb auch nicht verborgen, dass immer wieder Menschen abgeholt wurden. Was mit ihnen geschah und wo sie verblieben, wussten sie nach meinem Dafürhalten nicht. Ich kann mich noch entsinnen, dass meine Eltern 1946 eine Fotodokumentation über die Konzentrationslager in die Hände bekamen, in denen haufenweise Berge von geschundenen Leichen sowie Gruppen von völlig abgemagerten Männern und Frauen abgebildet waren. In diesem Buch wurde auch ausführlich über die menschenverachtenden Taten der Nazis berichtet. Die tiefe seelische Erschütterung meiner Eltern war nicht zu übersehen und auch ihren Äußerungen war zu entnehmen, dass sie von dem Holocaust, der ihr Vorstellungsvermögen eindeutig überschritt, nichts geahnt haben.